Nachhaltigkeit als Herzenssache – das Orange Blossom Special Festival im Gespräch

Kennt ihr das Orange Blossom Special Festival? Das „beste kleine Festival der Welt“, unter treuen Fans als „OBS“ bekannt, findet in Beverungen in Ostwestfalen statt. Das Festival erfreut die über 3000 Besucher*innen jedes Jahr mit Lokalcharme, familiärer Atmosphäre – und jeder Menge Nachhaltigkeit. Wir haben mit Elisa und Rembert von der AG Nachhaltigkeit über harte Fakten, schwierige Kompromisse und die transformative Wirkung von Kultur gesprochen.

Das OBS hat als eines der ersten Festivals 2023 den Code of Conduct für nachhaltige Festivalkultur unterzeichnet. Was hat euch dazu motiviert?

Rembert: In den Zielen von „Zukunft Feiern“ haben wir uns sofort wiedergefunden. Ein Festival, zumal eines das in peripherer Lage stattfindet, ist unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit im Regelfall eine Katastrophe. Der daraus entstehenden Verantwortung gegenüber der Zukunft möchten wir uns als OBS stellen. Neben Austausch und Erkenntnisgewinn ist auch die Selbstverpflichtung als solche ein gutes Werkzeug, um uns selbst auf allen Ebenen der Festivalorganisation unsere Nachhaltigkeitsziele immer wieder vor Augen zu führen.

In diesem Jahr findet das OBS 27 unter dem Motto „Als gäbe es ein Morgen“ statt. Warum habt ihr euch dafür entschieden, das Festival unter diesen Leitsatz zu stellen?

Rembert: Das Motto „Als gäbe es ein Morgen“ transportiert zwar berechtigterweise einen Konjunktiv, strahlt aber den Optimismus aus, dass es noch nicht zu spät ist, die Welt zu retten. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen die politische Lage und die gesellschaftliche Entwicklung vor unserer Haustür herausfordernd sind, formuliert das Motto einen motivierenden Gegenpol zur Schicksalsergebenheit, in die man sich persönlich verständlicherweise auch flüchten könnte. Und man kann Folgerungen daraus ableiten: das Böse darf nicht gewinnen, bildet Banden, geht auf die Barrikaden, gebt euch Mühe. Denn sonst wird das Morgen furchtbar, oder es wird erst gar kein Morgen mehr geben.

eine Bühne auf dem Orange Blossom Special Festival
Rund 3000 Besucher*innen feiern jährlich auf dem „besten kleinen Festival der Welt“.

Als Kollektiv Nachhaltigkeit habt ihr euch Ende 2021 als eine der Arbeitsgruppen des OBS zusammengefunden – aber euer Engagement für Nachhaltigkeit geht noch viel weiter zurück. Wie hat das alles angefangen?

Rembert: Wir sind nicht als Umweltengel zur Welt gekommen. Als wir 1997 die erste Ausgabe des OBS durchführten, spielte das Wort „Nachhaltigkeit“ noch keine Rolle – auch in meinem Wortschatz nicht. Damals wie heute fand das OBS auf einem sehr großen Gartengelände statt. Im ersten Jahr hatten wir so etwa 750 Besuchende und das Festival dauerte nur einen Tag. Der Rasen des Gartens war anschließend übersät mit Plastikmüll. Das war eine Art Erweckungserlebnis für mich. Ab dem Zeitpunkt haben wir begonnen, Maßnahmen einzuführen, die uns unter ökologischen Gesichtspunkten richtig und durchführbar erschienen: Zunehmende Abfalltrennung, mehr diesbezügliche Kommunikation mit dem Publikum, Einkauf von ökologisch verträglichen Materialien, Re-Use, Upcycling.

Elisa: Was heute unter dem Stichwort „Nachhaltigkeit“ deklariert wird, waren damals für das OBS eher wirtschaftliche Aspekte. Als privatwirtschaftlich organisiertes Festival haben wir von Anfang an unser Equipment schonend behandelt und alles Mögliche mehrfach verwendet – schlicht aus Kostengründen. Der Ansporn, aus ökologischen Gründen nachhaltig zu handeln und dafür sogar mehr zu zahlen bzw. extra Geld in die Hand zu nehmen, kam erst viel später.

Rembert: Erst mit Bildung der AG Kollektiv Nachhaltigkeit und der Entwicklung unseres Nachhaltigkeitsleitbildes bekam dieses Engagement dann eine feste Struktur. Jetzt denken wir wirklich in allen Prozessen der Festivalplanung und Festivalproduktion Nachhaltigkeit mit.

Wie viele Veranstaltende habt ihr sicher mit Herausforderungen zu kämpfen, wenn nachhaltiger Idealismus auf stressige, detailreiche Veranstaltungsorganisation trifft. Wie steht ihr zu Kompromissen?

Rembert: Schön wäre es, wenn unsere Nachhaltigkeitsbemühungen ohne Kompromisse durchgepaukt werden könnten. Aber hier und da sind Kompromisse unausweichlich – meistens aus finanziellen Gründen. Trotzdem sind wir bei vielen Problemstellungen aufmerksam und sensibel – und oft erfinderisch und kreativ in der Umsetzung von Maßnahmen. Wir wollen nicht nur etwas zur Gewissensberuhigung, sondern tatsächlich etwas für den guten Zweck tun. Nichtsdestotrotz sind wir ein Musikfestival und wir müssen aufpassen, dass wir unser Publikum nicht durch zu viel Goodwill und Impact-Themen abschrecken. Der Grat zwischen netten Hinweisen und besserwisserischer Maßregelung ist schmal.

Zeltwiese auf dem Orange Blossom Special Festival
Auf der Zeltwiese des Orange Blossom Special Festivals geht es gans natürlich zu.

Einen dieser Kompromisse beschreibt ihr auf eurer Website: Auf dem Festivalgelände benutzt ihr nämlich Dixi-Klos und Toilettenwagen anstatt von Öko-Toiletten. Warum?

Rembert: Die scheinbar naheliegende Nutzung von mobilen Öko-Toiletten haben wir für das OBS unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit betrachtet. Die sehr weiten Anfahrten der Öko-Toilettenanbietenden sind hier ebenso ein Hinderungsgrund wie die gesetzliche Behandlung des Fäkal-/Sägemehl-/Toilettenpapier-Gemischs als gemischter Siedlungsabfall, der nicht in Klärwerken entsorgt werden kann und zur nächsten, 50 km entfernten Müllverbrennungsanlage gebracht werden müsste. Die Fäkalien aus unseren Toilettenwagen und allen Backstage-Toiletten werden dagegen direkt über die Kanalisation umweltfreundlich dem örtlichen Klärwerk zugeführt. Auch die Fäkalien aus den Dixi-Toiletten werden auf kürzestem Weg in das nur 500 Meter entfernt liegende Klärwerk gebracht. Daher ganz ohne Scheiß: Bezogen auf das OBS ist unsere örtliche Lösung der Fäkalentsorgung bzgl. CO2-Bilanz und Umweltbelastung die bessere Alternative. An anderen Stellen gehen wir sehr kreativ vor: Eine einfache Eigenkonstruktion, auf die wir schon etwas stolz sind, ist eine sechs Meter lange Pinkelrinne im Infield, die mit dem Abwasser von zwei Bierwagen und einem Handwaschbecken gespült wird.


Seit 2022 dokumentiert ihr die Verbräuche des Festivals separat von der sonstigen Nutzung des Geländes und erstellt mit den Zahlen eine Datenbank. Welche Verbräuche dokumentiert ihr und welche Veränderung lest ihr aus den Zahlen ab?

Elisa: Für die CO2-Bilanz erheben wir verschiedene Daten, allen voran die Strom- und Wasserverbräuche. Wir sind sowohl mit Strom (wir beziehen 100% Ökostrom) als auch mit Wasser ans örtliche Netz angebunden und brauchen keine Dieselgeneratoren. Seit 2023 erheben wir Daten für eine CO2-Bilanz – aktuell mit dem webbasierten e-Tool Kultur der Städte Leipzig und Dresden. Über diese „hard facts“ hinaus führen wir jedes Jahr Umfragen im Publikum und auch im Team durch. Hier fragen wir nach den Anreisedaten, Ernährungsweisen und auch nach Themen wie Awareness.

Wie passt ihr eure Maßnahmen daran an?

Elisa: Die Anreise ist aufgrund der abgelegenen Lage ein großes Problem. Wir versuchen in der Kommunikation sehr stark, die Anreise per Bahn attraktiv zu machen und hoffen, in den Umfragen zukünftig positive Entwicklungen abzulesen. Bei der Ernährung verzeichnen wir eine steigende Nachfrage nach vegetarischer und veganer Kost – sowohl im Team als auch im Publikum. Das setzen wir auch in unserem Angebot um: Die Imbissbetreiber*innen auf dem Gelände informieren wir bei Vertragsabschluss über unser Nachhaltigkeitsprogramm und verpflichten sie, bestimmte Dinge umzusetzen, z.B. verschiedene Portionsgrößen, keine Plastikschalen und -besteck.

Upcycling-Workshop auf dem Orange Blossom Special Festival
Upcycling-Workshops und Vogelbeobachtungstouren runden das musikalische Programm auf dem Orange Blossom Special Festival ab.

Ihr seid davon überzeugt, dass auch „weiche“, nicht messbare Faktoren für die Nachhaltigkeit im Kultursektor wichtig sind. Was meint ihr damit?

Rembert: Da wir Orte schaffen, an denen sich die Menschen wohl fühlen, in denen sie in Gemeinschaft Erlebnisse erfahren, die sich von ihrem normalen Alltagsleben abheben, können wir sie auf positive Weise emotional berühren. Ein manchmal beschwerendes Thema wie den Erhalt unserer Welt durch Transformation können wir unterschwellig mit-vermitteln durch einen freudvollen Image-Transfer – ohne erhobenen Zeigefinder. Im Kopf und in den Herzen der Menschen soll sich festsetzen, dass Schönes bewahrt werden muss. Kultur dient so als Vermittlungswerkzeug. Das ist schwerlich messbar – aber es besteht die Hoffnung, dass es funktioniert.

Elisa: Wir möchten die Menschen nicht nur für drei Tage, sondern auch für zuhause zum Umdenken motivieren und sie mit schönen Erinnerungen nach Hause schicken/entlassen. Eine Transformation gelingt nicht durch Auflagen, sondern durch eigene Motivation.

Was wünscht ihr euch für das Netzwerk Zukunft Feiern?

Rembert: Live long and prosper! Ich hoffe, dass sich noch viel mehr Veranstaltungen, Clubs, Festivals, Verbände dem Netzwerk anschließen und voneinander lernen. Dass sich das Bewusstsein unter Besuchenden und Veranstaltenden dahingehend entwickelt, dass Verantwortung für das eigene Tun gegenüber zukünftigen Generationen übernommen wird. Um auch zukünftig gemeinsam feiern zu können – als gäbe es ein Morgen.