Interview: Clubkultur langfristig bewahren mit dem Wilde Möhre Festival

Das Wilde Möhre Festival gehört zu den Erstunterzeichnenden des Code of Conduct für nachhaltige Festivalkultur. Wir haben mit Alexander Dettke über Events an naturbelassenen Orten, kulturelle Vielfalt und regionale Verankerung gesprochen.

Die Wilde Möhre ist Erstunterzeichnende des Code of Conduct für nachhaltige Festivalkultur. Viele Festival-Fans verbinden euren Namen mit Nachhaltigkeit. Seit wann engagiert ihr euch für Klima- und Umweltschutz und warum? Was sind eure wichtigsten Nachhaltigkeits-Veränderungen auf dem Festival?

Der Name „Wilde Möhre“ hat bereits eine natürliche Verbindung und spiegelt unsere Grundhaltung wider. Aufgewachsen in einer Zeit zunehmender Umweltachtsamkeit, wurde uns im Laufe der Festivalentwicklung immer klarer, dass Veranstaltungen wie unsere das Klima durchaus belasten können – allein durch Infrastrukturmaßnahmen an naturbelassenen Orten. Deshalb haben wir früh entschieden, aktiv zu werden und unseren CO2-Ausstoß sowie unseren gesamten ökologischen Fußabdruck zu reduzieren und bestenfalls sogar klimapositiv zu gestalten. Eine unserer bedeutendsten Veränderungen war zu Beginn der Verzicht auf Dieselaggregate durch den Umbau eines nahegelegenen Trafo-Werks, das es uns ermöglicht, Strom aus nachhaltigen Quellen zu beziehen. Heute gehen wir weiter, indem wir nicht nur stärker auf Natur- und Tierschutz achten, sondern auch Partner dazu motivieren, selbst nachweisbar klimafreundliche Maßnahmen zu ergreifen.

Wilde Möhre Festival - Interview Nachhaltigkeit
Die Wilde Möhre findet an einem naturbelassenen Ort in der Lausitz statt.



Letztes Jahr habt ihr die „mit Freude eG“ gegründet, eine eingetragene Genossenschaft. Wie funktioniert diese Eigentumsgemeinschaft? Welches Ziel verfolgt ihr?

Die Idee hinter der Freude eG besteht darin, Club- und Festivalkultur langfristig zu sichern, besonders in Zeiten steigender Mieten und drohender Verdrängung. Kultur ist keineswegs selbstverständlich: Viele Kulturakteur*innen agieren aus Überzeugung, verfügen aber kaum über ausreichende Mittel, um Eigentum zu erwerben und somit ihren Fortbestand langfristig zu sichern. Die Freude eG gibt Gästen, Künstler*innen und Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich gemeinschaftlich an Kultureinrichtungen zu beteiligen. Im konkreten Fall der Wilden Möhre bedeutet dies, dass die Eigentümerschaft breit gestreut wird und somit weder Einzelpersonen belastet noch Übernahmen möglich sind. Unser Ziel ist, diesen Kulturort langfristig zu bewahren und dabei stets die Maximierung der Lebensfreude über persönliche Einzelinteressen zu stellen.

Euren Ticketverkauf organisiert ihr über den Anbieter „infield“, der sich für Klimaschutz, Awareness und Gleichberechtigung in der Festivalbranche einsetzt. Wie kam es dazu, dass ihr zu „infield“ gewechselt seid? Was bedeutet es für euch, mit kleinen Anbietern anstatt mit Großkonzernen wie Eventim zusammenzuarbeiten?

Wir haben uns ganz bewusst entschieden, unseren Ticketanbieter zu wechseln – sehr zum Bedauern unseres vorherigen Anbieters, bei dem wir die Zusammenarbeit vorzeitig beendet haben, nachdem er von einem größeren Konzern übernommen wurde. Mit Infield arbeiten wir zusammen, da sie unsere Werte teilen, sich aktiv in der Festivalbranche engagieren und Aufklärungsarbeit leisten. Natürlich bedeutet die Entscheidung gegen große Anbieter den Verzicht auf gewisse Marketingvorteile und Vorauszahlungen. Dennoch halten wir es für wichtiger, unabhängig zu bleiben und keine Marktmonopole zu unterstützen. Denn eine weitere Kommerzialisierung, wie wir sie beispielsweise in Amerika beobachten, würde zu einem Verlust kultureller Vielfalt führen – das wollen wir auf keinen Fall unterstützen.

Launch des Code of Conduct für nachhaltige Festivalkultur - Wilde Möhre Festival
Alexander Dettke (3. v. l.) beim Launch des Code of Conduct für nachhaltige Festivalkultur



Ihr seid sehr in eurer Region verankert und engagiert zum Beispiel Sicherheitspersonal aus der Lausitz. Welche Herausforderungen und Chancen bringt diese Regionalität mit sich?

Die regionale Verankerung ist für uns ein zentraler Bestandteil unserer Philosophie. Nach über einem Jahrzehnt fühlen wir uns selbst als Lausitzer*innen und betrachten uns als integralen Teil der Region. Diese Regionalität bietet uns überwiegend Chancen, denn durch den Aufbau lokaler Strukturen, wie etwa beim Sicherheitspersonal, stärken wir nachhaltig die regionale Wirtschaft. Die einzige Herausforderung liegt darin, diese Strukturen zunächst aufzubauen und Wissen zu vermitteln. Diese anfänglichen Investitionen und Bemühungen lohnen sich jedoch langfristig definitiv.

Auf der Wilden Möhre gibt es traditionell auch viele Bildungsangebote, unter anderem zum Thema Nachhaltigkeit. Wie wichtig ist es für euch, einen Einfluss auf die Besucher*innen auszuüben?

Das Wort „Einfluss ausüben“ trifft unsere Absicht nicht ganz. Unser Ziel ist vielmehr, Ideen mit unseren Gästen zu teilen und Dialoge anzuregen, ohne dabei mit dem erhobenen Zeigefinger vorzuschreiben, wie man leben sollte. Wir sehen Erkenntnisgewinn als individuellen Prozess, zu dem wir durch Diskussionen und inspirierende Inhalte beitragen möchten – ähnlich wie auch wir selbst von Clubs und Festivals geprägt wurden. Konsequenzen und Rückschlüsse zieht am Ende jeder für sich selbst. Daher bieten wir vielfältige gesellschaftsrelevante Themen und regen zu intensiven, oft auch kontroversen Gesprächen an, insbesondere im Bereich Nachhaltigkeit. Wir sind überzeugt, dass dieser offene Austausch allen Beteiligten Freude macht und wertvolle Denkanstöße liefert.

Wilde Möhre Festival
auf dem Wilde Möhre Festival